In der Tradition von Wielkopolska heißt der Tag vor Weihnachten Heiligabend (Wigilia oder Gwiazdka). Der Begriff wigilia (vom lateinischen vigiliae, d.h. nächtliches Wachen, bezeichnet jedoch in der römisch-katholischen Tradition die Abendmesse oder den Vorabend eines wichtigen Feiertags) hat nur in Polen eine breitere Bedeutung angenommen und bezeichnet einen besonderen Tag und das am Abend vor Weihnachten eingenommene abendliche Mahl. Beliebter ist aber der Name Gwiazdka. An der am Heiligabend festlich gedeckten Tafel nimmt man Platz, wenn der erste Stern (poln. „gwiazdka“) am Himmel aufleuchtet.
Einer der erhebendsten Augenblicke des Weihnachtsmahls am Heiligabend besteht im Brechen der Oblate, das vom Familienoberhaupt initiiert wird. Bevor alle anfangen zu essen, geht jeder mit seiner Oblate reihum zu jedem anderen, gibt ein Stück seiner Oblate ab und bricht sich ein Stück von der seines Gegenübers ab, dem er Wohlergehen im neuen Jahr wünscht. Der Name Oblate (opłatek) stammt vom lateinischen oblatum, was „Opfergabe” bedeutet. Hergestellt wird die Oblate aus einem Teig aus Weizenmehl und Wasser, der in eine Form mit weihnachtlichen Motiven gegossen wird. Die Menschen brechen weiße Oblaten, während rote den Resten der Weihnachtsspeisen zugesetzt werden, mit denen die Tiere gefüttert werden.
Derzeit unterscheiden sich die Gänge, die bei diesem Abendessen verzehrt werden, nicht wesentlich von jenen, die vor 50 oder 80 Jahren auf den Tisch kamen. Den Grundstock bilden Speisen, die seit Generationen auf den Familientafeln gereicht wurden, erweitert um solche, die in den Medien verbreitet wurden und eine Art Kuriosität darstellen. In vielen Häusern in Wielkopolska werden folgende Speisen am Heiligabend serviert:
- Obstsuppe aus Trockenäpfeln und Backpflaumen, angedickt mit Schmand, sie wurden mit kleinen Weizennudeln gereicht
- (größere) Nudeln mit zerriebenem Mohn, gesüßt mit Zucker – sog. „makiełki”
- Hering in Sahne mit gekochten Kartoffeln
- in Öl gebackene Heringe
- Kraut mit Erbsen (Bohnen): gekochtes Kraut wurde mit gekochten und zu Brei zerdrückten Bohnen vermengt
- gebackener Karpfen
- in Butter gebratene Trockenpilze
- Backpflaumenkompott
- Pfefferkuchen
- Mohnkuchen
Diese herkömmliche Speisenfolge wird unter dem Einfluss von Änderungen durch die Medien, die Migration von Eheleuten um früher selten anzutreffende klare Rote-Rüben-Suppe mit Teigtaschen, gefüllt mit Kraut oder Pilzen, Pilzsuppe mit Nudelflecken, Kutia (süßer Weizenbrei), Piroggen…usw. ergänzt.
Nach dem Weihnachtsessen kommt der sog. gwiazdor (Weihnachtsmann) in die Häuser. Das ist eine Gestalt, die in einen von innen nach außen gekehrten Lammfellmantel gekleidet ist, der mit einem Strick oder Gürtel zusammengehalten wird. Auf dem Kopf trägt der „Gwiazdor“ eine Mütze, vor dem Gesicht hat er eine Maske. In der Hand hält er eine Rute und ein Glöckchen und über den Rücken hat er einen Sack mit Geschenken geworfen. Es geschieht in einigen Dörfern, dass mehrere solche Gestalten umgehen. Mitunter wird der „Gwiazdor“ von einer „Weihnachtsfrau“ (gwiazdka) begleitet, die weiß gekleidet ist und ein Glöckchen in der Hand hält, womit sie dem „Gwiazdor“ assistiert. Dieses Glöckchen zeigt den Hausbewohnern das Kommen der beiden an. Den artigen und den unartigen Kindern überreicht er Geschenke, wobei er letzteren ans Herz legt, sich im nächsten Jahr zu bessern. Leider sieht man so gekleidete Gestalten immer seltener, und wenn schon, dann hauptsächlich in Dörfern. Der „Gwiazdor” wird immer öfter durch den globalen Santa Claus ersetzt.